Julien Wanders im 10'000-m-Final an der EM 2018 in Berlin (Photo: athletix.ch)
Julien Wanders (Photo: athletix.ch)

Julien Wanders nach dem 10 000-m-Final an der EM: Der Unvollendete

Rang 7 im siedend heissen Berliner Olympia-Stadion über 10 000 m. Das, was er in seinem jungen Langstreckler-Alter bereits kann, hat Julien Wanders am Dienstagabend alles richtig gemacht. Aber in Zukunft kann der Genfer noch viel mehr!

Der Mann ist nur gerade 22 Jahre alt. Für einen Langstreckenläufer – zumindest, wenn er aus Europa kommt – ist Julien Wanders damit eigentlich erst das Lehrlings-Alter.

Unter diesen Voraussetzungen hat Wanders bei seinem EM-Rennen über die 25 Bahnrunden all seine Qualitäten gezeigt: Das ganze Rennen ist er immer in der Spitzengruppe gerannt. Nach zweieinhalb Kilometern hat er sogar kurz die Favoriten-Kette angeführt. Wo andere Mitfavoriten von den 30 Grad Hitze gekocht frühzeitig abreissen liessen, lief Wanders spielerisch mit. Merkte instinktiv, wenn es Zeit wurde, auf der Gegengeraden bei der «Wasserstation» nach einem kühlenden Getränk zu greifen.

Bis 500 Meter vor Schluss ist das alles aufgegangen. Das Rennen war hart, nicht ein taktisches Geplänkel, bei dem alle auf eine Sprint-Lotterie auf den letzten Metern setzten. Dennoch decken in Berlin auf der letzten Runde Europas Beste auf, was Wanders in Zukunft noch lernen muss: Für den Finish im Medaillen-Kampf fehlt es dem hochtalentierten Schweizer noch an Schnelligkeit.

Marco Jäger, dem langjährigen Trainer von Julien Wanders, war das aber im Voraus bewusst. So hat er wenige Tage vor den Titelkämpfen in Berlin gesagt: «Julien ist ein unheimliches Talent. In jedem Training so konsequent und aggressiv, dass es auch den mit ihm trainierenden kenianischen Läufern häufig schwer fällt, mitzuhalten. Aber für einen Medaillen-Kampf auf der internationalen Bühne muss Julien noch viel an seiner Schnelligkeit arbeiten.» Jäger wird noch konkreter: «3:43 Minuten als Bestzeit über 1500 Meter reichen noch nicht. Julien muss in Zukunft auch diese kurze Distanz deutlich unter 3:40 Minuten schaffen.» Das sei die Voraussetzung, um auch über 5000 und 10000 m international bei Bahnwettkämpfen zu glänzen. «Und daran arbeiten wir!», sind sich Jäger und sein Athlet einig.

Marathon kann warten
Dafür lässt sich das Duo auch die nötige Zeit. Julien Wanders ist noch viel zu jung, um ihn einfach in kürzester Zeit zu «verheizen». Jäger sagt: «Wenn wir bloss auf den schnellsten Erfolg aus wären, müsste Julien sofort auf die Marathon-Strecke wechseln. Wer im Halbmarathon als 22-Jähriger WM-Achter wird – bloss von Afrikanern geschlagen –, wer mit 60:09 Minuten auf dieser Distanz U23-Europarekord schafft, der ist auch in der Lage, einen Marathon in einer Zeit um die zwei Stunden und fünf Minuten zu rennen.» Doch das könne warten.

Nach dem Beispiel der Äthiopier Kenenisa Bekele und Haile Gebrselassie oder des Briten Mo Farah solle Julien Wanders zuerst seine Qualitäten auf der Bahn verbessern. Die EM-Rennen von Berlin, die WM im nächsten Jahr in Doha und dann wohl auch noch Olympia 2020 in Tokio, seien beste Gelegenheiten dazu.

Und dann kommt Jäger ins Schwärmen. Dabei spricht er nicht mehr von Dingen, die Julien Wanders noch lernen muss, sondern von den ausserordentlichen Qualitäten, die der Schweizer mitbringt: «Julien hat einen Morgenpuls um die 33 Herzschläge pro Minute.» Das seien Voraussetzungen, die für einen Ausdauersportler vieles möglich machten. Wenn Wanders nämlich während bis zu sieben Monaten pro Jahr im kenianischen Läufer-Eldorado Iten trainiert, und ihn Jäger aus dem fernen Genf als Trainer auf Distanz per Telefon steuert, sei der Morgenpuls das wichtigste Indiz, um zu erkennen, wann der Athlet von der Trainingsbelastung her an seine Grenzen kommt. Beim Training selbst lässt sich Julien Wanders dann aber nicht von der Uhr oder einem Pulsmesser steuern. «Das braucht er nicht», sagt Jäger. «Auch ohne solche Hilfsmittel hat Julien ein extrem feines Gespür für die richtige Belastung.»

Am Samstag im 5000-m-Final
Zurück zur laufenden EM in Berlin. Was erwartet Jäger von seinem «Unvollendeten» am Samstag über 5000 m? «Für Julien ist diese kürzere Distanz im Olympia-Stadion bloss noch Zugabe. Seine stärkere Strecke war ganz klar der 10 000er. Er soll seinen zweiten EM-Auftritt vor den vielen Zuschauern einfach noch geniessen.» So viel ist aber dennoch sicher: Julien Wanders wird auf dem Weg zu seiner Vollendung als Weltklasse-Langstreckler auch im 5000er wieder vieles richtig machen.

(cs)