Erik Portugal (31) ist alles andere als der geborene Läufer. Doch mit seinem Weg inspiriert er. In der Running-Story erzählt Erik von seinen nächsten Zielen.
Erik Portugal, du bist auf Instagram sehr präsent. Uns interessiert vor allem dein Projekt, das deinen Weg vom Couch Potato zum Marathonläufer zeigt. Was gab den Impuls zu deinem mutigen Versuch?
Erik Portugal: Alles begann aus einer persönlichen Krise: Schluss mit der Freundin, Job verloren, die Eltern trennten sich. Nach einer Reise mit meiner Mutter in mein Heimatland Bolivien erkannte ich: Weil sich meine Heimat entwickelt hat, fühlte ich mich nicht mehr richtig dazugehörend. Für mich war das der Impuls, mich auch weiterzuentwickeln. Ich wollte in der Schweiz etwas Neues beginnen.
Und du begannst mit dem Laufen.
Ich versuchte es. Das war eine Riesenherausforderung. Wenn ich auf die Waage stand, zeigte sich ein dreistelliger Wert vor dem Komma. Ich bin nie ein Sportler gewesen. Das einzige Sportliche: bolivianischer Tanz in einer Tanzgruppe in Zürich. Nun also schnürte ich die Laufschuhe. Am Anfang schleppte ich mich um zwei, drei Häuserblocks, dann war die Energie weg.
Wie gingst du damit um?
Ich blieb dran, jeden Tag, und jeden Tag ging es etwas weiter. Vor allem aber wichtig: Ich lernte neue Leute kennen. Eine dieser neuen Freundinnen erzählte mir von ihrer Teilnahme an der Escalade in Genf. Ich dachte: Wow, solches möchte ich auch einmal erleben.
Und?
Ich wollte klein beginnen und stiess auf Facebook auf das Redbull 400-Rennen in Einsiedeln. Was es bedeuten soll, 400 m die Sprungschanze hochrennen, war mir nicht klar. Ich fuhr mit meiner Mutter hin und geriet in Panik. Hier hoch, unmöglich. Ich hatte Angst, meine Mutter noch viel mehr. Da sagte ich mir: Erik, jetzt musst du mutig sein, das schaffst du. Und plötzlich war die Angst weg. Nie aber hätte ich gedacht, dass 400 m derart anstrengend sein können. Oben waren die Beine leer, aber das Gefühl war unbeschreiblich. Hinzu kamen die Erleichterung und der Stolz in den Augen meiner Mutter.
Wie ging es weiter?
Das Schanzen-Rennen war Ende Oktober 2018. Bis Anfang Dezember und die Escalade war ich wieder bereit. Und der grösste Schweizer Volkslauf überwältigte mich. So etwas hatte ich noch nie gesehen: diese Ambiance, diese Masse, die Zuschauer. Das Dabeisein, das Mitrennen fühlten sich wunderbar an. Die Leute sahen meinen Namen auf der Startnummer und feuerten mich persönlich an. Das war inspirierend. Spontan meldete ich mich für den Silvesterlauf in Zürich an. Die 8,5 km-Strecke bedeutete für mich einen weiteren Schritt bezüglich Distanz.
Hast du die Distanzen seither weiter gesteigert?
Ja, die Distanzen und das Training. Es folgten Kerzerslauf, GP Bern, Halbmarathon am StraLugano. Letzterer war prägend. Als ich meine Startnummer abholte, sagte die Helferin mit Blick auf meine Figur: “Sie sind hier falsch, Sie gehören vielleicht an den 10 km Run.” Ich war beleidigt. Aber das Missverständnis liess sich klären, und wir lachten beide. Jede Person, die mich sieht, würde nie auf einen Halbmarathonläufer tippen. Das Rennen wurde eine Grenzerfahrung. Muskelkrämpfe bremsten mich. Ich blieb stehen. Es wurde noch schlimmer. Ich geriet in Panik. Aber ich ging weiter, es gab keine andere Option. Irgendwoher kam die Kraft.
Deine Schlüsse danach?
Ich erinnerte mich an mein Fernziel Marathon, genauer dem Jungfrau-Marathon. Und ich erkannte: Wenn ich auf der Kleinen Scheidegg ins Ziel kommen will, muss ich handeln und mehr trainieren. Ich lief mehr denn je. Es blieben mir noch drei Monate bis Mitte September 2019. Ich machte mich auf Youtube schlau bezüglich Marathon-Vorbereitungen. Ich erkannte: Erik, du musst auch die Kraft fördern. Also meldete ich mich fürs Fitness an.
Und, funktionierte es auch mit dem Marathon?
(Lacht) Wie soll ich sagen? Schon im Training erkannte ich: Nach 23 km kommt immer eine Wand. Aber ich kam zu einer Erkenntnis. Im Olympischen Museum in Lausanne las ich, dass auch grosse Athleten solche Hindernisse zu überwunden haben. Ich schloss: Du musst im Kopf positiv bleiben. Am grossen Tag war ich enorm nervös. Als ich aber die Startlinie überquerte, schoss es mir durch den Kopf: Du bist hier, du hast bereits gewonnen.
Wie ist es herausgekommen?
Ich genoss, es war wunderbar. Ich lief und lief und lief. Doch schon bei der ersten Steigung nach Wilderswil zeigten sich neue Probleme. Ich hatte nur in der Fläche trainiert. Das rächte sich nun. Die Energie verflog. Und nach 13 km überholte mich der Besenwagen. Du kannst nur im Rennen bleiben, wenn du uns wieder überholst, bekam ich zu hören. Das war absolut unmöglich. Ich entschloss mich dennoch weiterzugehen, so lange wie nur irgendwie möglich. In Lauterbrunnen aber, knapp vor Streckenhälfte, führte kein Weg mehr an der Erkenntnis weiter: Es geht nicht mehr.
Das muss eine enorme Enttäuschung gewesen sein?
Zum einen, ja. Dazu gesellte sich aber auch Stolz. Und mit einigen Tagen und Wochen Distanz erkannte ich: Diese Erfahrung hat mein Selbstvertrauen enorm gestärkt. Und das Allerschönste: Unzählige gratulierten mir auf Social Media. Sie motivierten mich, schilderten ihre Ansichten.
Beste Voraussetzungen zum Weitermachen?
Eigentlich. Die Pandemie brachte aber alles zum Erliegen. Sie und eine Warze am Fuss bremsten mich. Aber ich suchte nach Alternativen und fand Freude am Yoga und Tai Chi. Und am Entdecken der Schweiz mit dem GA. Ich notiere mir Orte, Plätzchen, die ich rennend besuchen möchte. Und letzten Herbst wandte sich ein Freund an mich mit der Frage, ob ich ihn und einige weitere Kollegen auf den Zürcher Silvesterlauf vorbereiten möchte. Alles Leute, die zuvor überhaupt nichts mit Laufen am Hut hatten. Ich erklärte, dass Laufen nicht einfach Laufen ist, dass das Atmen, die Lauftechnik, die Ernährung, der Rhythmus und vieles mehr eine Rolle spielen. Am Schluss starteten wir zu dritt – ein grossartiges Erlebnis. Und das soll weitergehen. Sie wollen mehr. Eine Dynamik ist entstanden.
Und was sind deine persönlichen Pläne?
Im September möchte ich am Jungfrau-Marathon nochmals einen Versuch starten. Ich will mich besser vorbereiten, will einige Kilos weniger den Berg hochtragen. Die Erfahrungen mit dem Laufen helfen mir im Leben generell. Die Erkenntnis: Irgendwie geht es immer weiter. Das Laufen ist etwas geworden, was ich nie für möglich gehalten hätte. Als Kind und Jugendlicher war Laufen und Sport generell die Hölle für mich.
Das Gespräch mit Erik Portugal führte Jörg Greb.
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