Nachdem die Luzernerin Vera Stocker (21) im September U23-Schweizer-Meisterin über 400 m Hürden geworden war, peilte sie den Weltmeistertitel an – bei den von Schanghai nach Luzern verschobenen World Skills. Ein anspruchsvoller «Tanz auf zwei Hochzeiten».
Vera Stocker, du hast dich nach dem U23-SM-Titel sogleich auf die World Skills als Bäckerin/Konditorin von Mitte Oktober vorbereitet. Wie ist es dir an der Berufs-WM gelaufen?
Ich liebäugelte mit dem WM-Titel und bin jetzt Dritte geworden. Aber ich bin überglücklich.
Das tönt widersprüchlich.
Mir unterlief bei einer der neun Aufgaben ein Riesenfehler. Ich habe die Baguettes bis zum Ende der Wettkampfzeit vom Morgen nicht aus dem Ofen genommen, auch wenn diese schon fertig gebacken waren. Der Ofen klingelte nicht. Im Stress hatte ich ihn wohl nicht richtig gestartet. Um sie nicht verbrennen zu lassen, musste ich meine Baguettes – sie kamen eigentlich wirklich gut heraus – in der Mittagspause aus dem Ofen nehmen. Was nicht den Regeln entsprach. Die Folge: null Punkte für die Baguettes und auch für die Bruschetta die wir daraus anfertigen mussten. Ich weiss nicht, wie mir dieses Missgeschick passieren konnte. Meine Ambitionen hatte ich zu begraben.
Brutal?
Richtig. Eine Welt brach für mich zusammen. Mein Traum vom Weltmeistertitel war schon nach einem Morgen, wegen einem wirklich dummen Fehler vorbei. Ich brach in Tränen aus. Aber es gelang mir, mich zu fangen und die Konzentration auf die Aufgaben nach der Mittagspause zu richten. Das macht mich Stolz. Das war eine Lehrstunde in Stress-Kompetenz. Dass es nun trotzdem zu Bronze gereicht hat, ist der Hammer. Ich hatte konzentriert weitergemacht und konnte mit den anderen Produkten aufholen.
Und die Frage, was ohne diesen Fauxpas resultiert hätte?
Die darf und will ich mir nicht stellen. Ich weiss jetzt mit den Punkten natürlich, was möglich gewesen wäre. Aber jetzt ist es so, wie es ist und ich habe daraus gelernt.
Machen wir den Link zur Leichtathletik. Mit dem U23-SM-Titel im September in Genf konntest du einen grossen Erfolg feiern. Profitiertest du als Leichtathletin von den Berufswettkämpfen und umgekehrt?
Ganz sicher. Ich profitierte bei beidem. Zur Vorbereitung auf die World Skills besuchte ich ein Mentaltraining. Das brachte mir für die Leichtathletik viel. Ich lernte, besser mit der Nervosität umzugehen, eignete mir Atemtechniken an, mit denen ich mich herunterholen kann. Ohne diesen Background hätte ich wohl nicht SM-Gold gewonnen.
Du warst nicht immer so?
Nein, als Teenager war ich eher unsicher. Ich glaubte nicht wirklich an mich und meine Möglichkeiten. Der Sieg an den Swiss Skills vor zwei Jahren zeigte mir: Wenn ich mich richtig vorbereite und im entscheidenden Moment fokussiert bin, kann ich viel erreichen. Diesen Schwung und das neue Selbstvertrauen habe ich mitgenommen. Ich weiss jetzt: Ich kann mir hohe Ziele vornehmen und ich kann diese auch erreichen.
Wie zeigt sich diese mentale Entwicklung in der Leichtathletik?
Jahrelang wollte ich aufs SM Podest aber ich hatte es nie geschafft. In diesem Jahr reiste ich mit anderen, viel konkreteren Gedanken an die SM. Ich sagte mir: Heute werde ich die 400 m Hürden zum ersten Mal unter 60 Sekunden laufen, und meine erste SM Medaille gewinnen. Das war mein Ziel – und eine ganz andere Motivation. Ich wollte dieses Ziel erreichen. Und es klappte doppelt: mit der Zeit von 59,49 Sekunden und dem Titelgewinn.
Wie geht es sportlich nun weiter?
Zuerst braucht es Arbeit. Ich hoffe, dass mir die Grundfitness nicht zu fest abhandengekommen ist «in der verlängerten Saisonpause». Diese Grundfitness muss ich jetzt wieder aufbauen. Ich bin sehr motiviert. Und vielleicht hat die Pause meinem Körper gutgetan…
Wie sehen deine nächsten Monate aus?
Die Planung haben meine Trainer und ich erst nach den World Skills an die Hand genommen. Klar ist: Ich will nächstes Jahr meine Zeiten über 400 m Hürden verbessern. Dazu legen wir nun im Winter die Basis. Vor nehme ich mir die Limite für die U23-Europameisterschaften. Dazu muss ich mich weiter steigern.
Wie sieht dein Trainingsumfeld aus?
Ich gehöre seit 11 Jahren dem TSV Rothenburg an. Dort trainiere ich mit der Hürden-, der Läufer- und der Sprintergruppe. Mit Danilo Küchler und Tobias Zurkirchen habe ich zwei Kollegen, die auch auf die Langhürdenstrecke setzen. Das ist cool. Wir profitieren voneinander. Ich brauche Leute um mich, um weiterzukommen.
Wie beschreibst du dich als Person?
Ich bin ein fröhlicher Mensch, der versucht, gute Stimmung zu verbreiten. Schlechte Laune mag ich nicht. Wenn ich etwas in Angriff nehme, dann richtig – und ich würde auch sagen: Ich bin ein Teamplayer. ich liebe es, wenn wir uns im Training gegenseitig anspornen und so besser werden.
Was sind deine Stärken?
Das mentale Fokussieren ist zu einer Stärke geworden: nicht aufgeben, auch wenn etwas missrät.
… und Schwächen?
Ich will’s oft zu perfekt. Das hemmt. Perfektionismus ist zwar gut, ich darf ihn aber nicht übertreiben.
Das Gespräch mit Vera Stocker führte Jörg Greb
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