René Huber läuft am Verdi Marathon
(Photo: zvg)

„Ich verfolge Träume jetzt und nicht irgendwann“

Als passionierter Läufer ist René Huber (58) kürzlich seinen 100. Marathon gelaufen. Der „verrückteste“ aber war der 99 – mitten in der Chemotherapie.

René Huber, Du läufst Marathon um Marathon. Doch vor einem Jahr sahst du plötzlich alles in Frage gestellt.
Brutal, ja. Ich freute mich, wie das Gefühl und die Form zurückkehren nach der Meniskus-Operation im Frühling 2021. Doch als nach einem Longrun mein Urin rot wie Rotwein gefärbt war, schrillten die Alarmglocken. Ich suchte den Urologen auf. Untersuche folgten. Und am Schluss die Diagnose: ein aggressiver, dynamischer Prostatakrebs im fortgeschrittenen Stadium.

Ein Schock.
Ja und nein. Richtig überrascht war ich zu diesem Zeitpunkt nicht mehr. Ich hatte eigentlich schon mit einer solchen Diagnose gerechnet. Hart waren aber die erklärenden Worte des Arztes: «Schade, dass wir Sie nicht früher kennenlernten. Bis ins 80. Lebensjahr müssen Sie nicht mehr planen.»

Deine Reaktion?
Klar, ich schluckte leer. An dieser Prognose hatte ich zu kauen. Am Boden zerstreut war ich aber nie. Relativ rasch akzeptierte ich das Unabänderliche. Alles andere hätte nichts gebracht. Und ich hatte das Glück, in der Hirslanden-Klinik auf eine hervorragende Ärztin zu treffen. Sie machte mir Hoffnung: Ich sei gut trainiert, fit, trinke keinen Alkohol, rauche nicht – so sei die Chance besser, dass ich gut auf die Chemotherapie reagieren würde.

Und: War dem so?
Ja, exakt. Mit den sechs Chemo-Blöcken alle drei Wochen kam ich verhältnismässig sehr gut zurecht. Ich konnte stets arbeiten, war nur 30 Prozent krankgeschrieben, musste nie fehlen. In den ersten fünf Tagen nach der Chemo war ich zwar recht müde, aber ich musste nie erbrechen, hatte nie das Fatigue-Syndrom und fand immer Energie für meine grosse Leidenschaft: das Joggen, einfach im moderaten Tempo.

Darum schlugst du deiner Ärztin vor, während deiner Chemo einen Marathon in Angriff zu nehmen. Was meinte sie?
Sie war überrascht, nahm den Vorschlag aber ernst und gab mir sehr rasch grünes Licht.

Also startetest du am 25. September beim Ulm Marathon.
Genau – und dieser 99. Marathon war ein besonders freudiges Erlebnis. Auch dank einer defensiven und guten Strategie schaffte ich es glücklich und freudestrahlend in 4:44:55 Stunden ins Ziel – trotz des vielen Gifts im Körper. Meine Erfahrung, die richtige Selbsteinschätzung sowie meine Freundin, welche den Marathon mit mir lief, kamen mir zugute.

Wie unterschied sich dieser Marathon sonst von deinen übrigen?
Ich war immer in sehr moderatem Tempo unterwegs und machte regelmässig kurze Gehpausen. Ich achtete darauf, dass der Puls nie über 140 stieg.

Du kamst so wieder auf den Geschmack?
Genau. Fünf Wochen später lief ich in Dresden meine 100. Marathon. Nur fünf Tage nach der Chemo musste ich arg beissen. Die letzten 20 km konnte ich kaum mehr rennen und musste viel marschieren. Aufgeben war aber nie ein Thema.

Endete das Lauf-Jahr so für dich?
Nein, nein. Mitte Dezember rundete ich dieses mit dem Abu Dhabi Marathon ab. Und der 101 Marathon war wie ein Neubeginn. Die Chemo hatte ich nun hinter mir. Dies alles löste unglaubliche Glücksgefühle aus, ein «es-geht-weiter-Gefühl.».

Was sind deine nächsten Ziele?
Auch in diesem Jahr bin ich bereits zwei Marathons gerannt: Jerusalem und den Verdi Marathon in Norditalien. Auf dem Programm habe ich weitere Marathons, aber das nächste echte Ziel ist der 100-km-Lauf von Biel am 9. Juni. Diesen Event will ich nochmals erleben und geniessen – ein letztes Mal.

Wie das?
Mit dem 100-er habe ich noch eine Rechnung offen: Das letzte Mal, vor fünf Jahren, musste ich wegen Rückenschmerzen aufgeben. So will ich dieses Kapitel nicht abschliessen. Schliesslich hatte ich den 100-er in Biel 20 Mal gefinisht. Ganz besonders freue ich mich, weil mich meine Freundin bei diesem Rennen mit dem Velo begleitet und betreut.

Blick darüber hinaus, wieder zu den Marathons: Locken auch wieder zeitliche Ziele?
Sicher. Ich will zeitlich wieder zulegen: unter 4 Stunden zu laufen sollte wieder standardmässig möglich werden, vielleicht lassen sich auch die 3:30 wieder ansteuern, trotz….

Trotz was?
Trotz der leistungshemmenden Medikamente. Meine Ärztin sagt: Es würde sie wundernehmen, wozu ich ohne Medikamente fähig wäre (lacht).

Welche Konsequenzen haben denn die Medikamente?
Aufgrund meiner Antihormonspritzen bildet mein Körper kein Testosteron. Testosteron ist leider der Treiber für den Krebs. Der Stoffwechsel funktioniert nicht. Ich nehme zu. Alles leistungshemmende Faktoren. Aber die Perspektive ist da, dass ich in einem Jahr die Medikamente absetzen kann.

Was lösen solche Gedankenspiele aus?
Ein beflügelndes Gefühl. Es wäre cool, wenn ich wieder etwas auf die Rangliste schauen könnte. Etwa, wenn ich es in die ersten 10 Prozent schaffe. Wenn das gute und harte Training von rund 50 km pro Woche sich auch in Zeiten und Rängen niederschlägt.

Noch grundsätzlicher: Wie ist es dir gelungen, trotz des Krebses den Optimismus zu behalten?
Ich akzeptiere mein Schicksal. Es nützt niemandem, wenn ich den Kopf hängen lasse und depressiv durch die Gegend laufe – auch mir nicht. Und mir hilft, dass ich bereits sehr viel erlebt habe. Tolle Reisen, u.a. zwei Weltreisen. Ich habe gelebt und mein Geld investiert. Durch die Krankheit ist das Hier und Jetzt wichtiger geworden. Die Prioritäten haben sich geändert. Ich verfolge Träume jetzt und nicht irgendwann. Verfolge sie, solange es geht. Ich will meine Träume (er)leben und nicht nur träumen.

 

Das Gespräch mit René Huber führte Jörg Greb.

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