Pascal Rüeger (Photo: Pascal Rüeger)
Pascal Rüeger (Photo: Pascal Rüeger)

«Meine liebste Freizeitaktivität: Füsse hochlagern»

Pascal Rüeger, ein begeisterter Ultraläufer, teilt seine Ambitionen, den Schweizer Rekord im 100-km-Lauf zu brechen. Um sein Ziel zu erreichen, erklärt er die Herausforderungen, die mit seinem harten Training verbunden sind, sowie das Gleichgewicht, das er finden musste, um alle Chancen auf seine Seite zu bringen.

Pascal Rüeger, du hast ein ambitiöses Ziel: den Uralt-100-km-Schweizerrekord von Peter Rupp aus dem Jahr 1985 (6:27:24 Stunden) brechen, Wie ist es dazu gekommen?
Ich lief im Februar in Italien einen 100-er in knapp 6:42 Stunden – aus der Winterpause und ohne auf den letzten 20 km ans Limit zu gehen. Ich sehe Luft nach oben.

Und jetzt bereitest du dich gezielt vor?
Jein. Ich komme aus einer Verletzung – einer Stressreaktion im rechten Bein. Aber das charakterisiert ja einen Läufer: Entweder läuft er oder er ist verletzt.

Was heisst das auf in Bezug auf dein aktuelles Training?
Ich laufe sehr dosiert und wechsle zwischen Laufen und Radfahren. Der Plan ist, die Laufkilometer kontinuierlich zu steigern. Da in der aktuellen Vorbereitungsphase die Grundlagenausdauer im Zentrum steht, kann ich sehr gut aufs Velo ausweichen.

Und wenn neue Schwerpunkt anstehen?
Wenn die Qualität steigt, also Intervalle und schnelle Einheiten anstehen, bevorzuge ich zuerst das Laufband. Gleichzeitig wird das Laufen wieder zunehmen.

 

Quote: «Das Mindset muss funktionieren»

 

Wie viele Kilometer summieren sich pro Woche?
140 bis 160 im ersten Block – wenn’s nach Plan läuft. Danach folgen Stresswochen mit 200 km.

Das tönt anspruchsvoll.
Ist es, ja. Das Mindset muss funktionieren. Es geht um Entschleunigen und wieder-Fahrt-aufnehmen, tagtäglich.

Wie bringst du Beruf, Familie und Sport unter einen Hut?
Mit einer Vollzeitstelle ginge das kaum. Ich bin in der komfortablen Situation meine Arbeit flexibel einzuteilen. Ich kann zudem mein Pensum in den harten Trainingswochen beruflich zurückfahren. Mein Arbeitspensum variiert zwischen 40 und 60 Prozent.

Also bist du Halbprofi…
Als Sportler bin ich Profi, was den Aufwand betrifft. 20 bis 25 Stunden sind auf den Sport ausgerichtet. Hinzu kommt Vor- und Nachbereitung.

Geht das auch finanziell auf?
Ja, auch wenn keine grossen Sprünge möglich sind. Als Ultra-Läufer wirst du nicht reich. Aber dank Sponsoring, Preisgeldern, Prämien und Einladungen sind das Laufen sowie ein paar Reisen finanziert.

Welchen Stellenwert nimmt die Regeneration ein?
Einen beachtlichen. Die Ernährung ist eminent wichtig. Und ich brauche im Minimum acht Stunden Schlaf, lieber neun. Gewinnbringend ist auch ab und an ein Mittagsschläfchen.

Bleibt auch noch Freizeit?
Nicht mehr allzu viel. Meine liebste Freizeitaktivität: Füsse hochlagern. Mein Leben und meine Tage sind durchgetaktet und sehr gut organisiert.

 

«Bei mir ging’s weniger ums immer Schnellerwerden, sondern vielmehr ums Weiter-Laufen»

 

Wie gestaltest du die Wochenenden?
Da bin ich oft mit den Kindern unterwegs. Sie sind 13 und 15. Auch Sie haben einen grossen Bewegungsdrang. Wir unternehmen was: kleine Velotouren, Wanderungen. Oder ich mache mit anderen Personen, welche mir wichtig sind, Sport – ganz ohne Leistungsdruck, ist auch mal angenehm.

Wie hat sich deine Faszination für die Ultradistanzen entwickelt?
Ich habe relativ spät mit dem Laufen begonnen: 2017 mit 36 – und das wie so viele: Ich habe angefangen, Freude bekommen, eine Leidenschaft entwickelt. 2018 lief ich meinen ersten Halbmarathon, 2019 zog ich das Projekt, das so viele haben, durch: einen Marathon unter drei Stunden. Als ich das realisiert hatte, war mir klar: Das Laufen liegt mir.

Spezielles Laufen…
Richtig. Bei mir ging’s weniger ums immer Schnellerwerden, sondern vielmehr ums Weiter-Laufen. 2021 brach ich den 6-Stunden-Schweizer-Rekord.

Das liegt schon etwas zurück. Wieso musste der 100-er-Rekordversuch so lange warten?
Es hat sich nie richtig ergeben. 2022 lief ich die 100-km-WM in Berlin. Ich erwischte einen schlechten Tag und stieg nach 40 km aus. Im Herbst 2022 brach ich mit 158 km den damaligen 12-Stundenrekord. Jetzt ist es aber anders. Aleksandr Sorokin, der aktuelle 100-km Weltrekordhalter, will als erster Mensch unter 6 Stunden laufen. Er fragte alle schnellen Europäer an, ob sie dabei sein wollten.

Dich auch?
Genau, auf dieser Party will ich auch mittanzen. Und nebenbei muss bei diesem Rennen der Schweizer Rekord fallen.

Wie gehst du das Projekt an?
Ich muss prinzipiell „nur“ unter 3:51-Minuten pro Kilometer laufen, meine Ambitionen liegen klar höher. Taktgeber ist aber nicht primär die Zeit, sondern die Herzfrequenz. Sie gibt mir vor, dass ich nicht überpace. Früher oder später stellt sich die Frage, wieviel ich riskieren soll. Meine Absicht ist klar: Der Schweizer Rekord soll nachher ein grosses Stück besser sein.

 

«Wenn ich in einem Wettkampf alles riskiere, muss ich damit rechnen, dass es mich zu Boden schlägt – physisch wie bildlich»

 

Wie charakterisierst du dich generell?
Ich bin äusserst diszipliniert. Und für mich gibt es nur schwarz oder weiss. Das hilft, den Trainingsplan durchzuziehen. Im Sport, bei den Ultraläufen und deren Planung, kann ich ausleben, was mir wichtig ist.

Welche Erfahrungen machtest du mit Rückschlägen?
Rückschläge sind immer bitter. Auch ich muss erkennen: Ich bin 43, der Körper braucht mehr Erholung als mit 20. Aber ich habe auch Fortschritte gemacht und besser gelernt, mit Niederlagen umzugehen. Sie lassen sich nicht vermeiden. Wenn ich in einem Wettkampf alles riskiere, muss ich damit rechnen, dass es mich zu Boden schlägt – physisch wie bildlich.

Das tönt fast philosophisch.
(Lacht). So ist es. An den Schmerz gewöhnst du dich. Und du musst reflektieren. Und wissen: Du kannst alles verlieren, aber auch alles gewinnen. Und noch etwas: Irgendwann geht es nicht mehr. Auch das musst du akzeptieren. Seit dem Marathon unter 3 Stunden im 2019, ist alles, was kommt, wie ein Geschenk.

 

Das Gespräch mit Pascal Rüeger führte Jörg Greb.

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