Fabienne Schlumpf (Photo : Swiss Athletics, Sandro Anderes)
Fabienne Schlumpf (Photo : Swiss Athletics, Sandro Anderes)

«An Olympia kannst du dich nicht gewöhnen»

Marathon-Läuferin Fabienne Schlumpf blickt auf die Olympischen Spiele in Paris und sagt, worauf sie geachtet hat und worauf sie in den letzten Tagen vor dem Zielwettkampf besonderes Augenmerk legt.

Fabienne Schlumpf, Paris 2024 und explizit der 11. August, was löst das in dir aus?
(Lacht) Fürs Erste: viel Vorfreude. Gleichzeitig zeigt sich bereits jetzt eine gewisse Nervosität: Dieser 11. August ist der grosse Tag im 2024. Und er kommt immer näher. Ich freue mich, wenn’s endlich los geht.

Tönt ungeduldig.
Es ist immer dasselbe, ob grosse Meisterschaft oder ein lange angesteuerter Städtemarathon. Du wartest. Wartest auf das, worauf du dich wochen- und monatelang vorbereitet hast.

Wann klingelt am Renntag der Wecker?
Vier Stunden vor dem Start, also um 4 Uhr.

Was steht dann an?
Der Ablauf ist genau festgelegt. Es beginnt mit dem Morgenessen, sodann gehe ich kurz laufen: damit ich richtig wach bin. Bald geht es von der Unterkunft an den Start.

Kannst du uns eine Vorstellung davon geben, was in deinem Kopf kurz vor dem Startschuss um 8 Uhr vorgehen wird?
Schwierige Frage, irgendwie alles und doch nichts. Ich bin dann sicher sehr konzentriert: auf mein Rennen: die 42,195 km, meine Taktik, meine Aufgaben. Und…

Bitte.
Es wird dann wohl schon sehr heiss sein. Also bin ich mit meinem Kühlkonzept beschäftigt. Und ich bin sicher Ich werde mit einem guten Gefühl ins Rennen steigen.

Nach Rio 2016 über 3000 m Steeple sowie Tokio 2021 im Marathon sind das deine dritten Olympischen Spiele. Welchen Stellenwert hat für dich Paris 2024?
Olympische Spiele sind immer sehr, sehr speziell. An Olympia kannst du dich nicht gewöhnen. Für mich ist der Stellenwert enorm. Die Erfahrung hilft mir, mit dem Speziellen besser klar zu kommen.

Wie verlief deine Vorbereitung?
Sehr gut und sehr konstant. Das ist nicht selbstverständlich, aber ganz wichtig.

Stichwort hohe Trainingspensum.  
Genau. Als Marathon-Läuferin stehen hohe Kilometer-Umfänge an. Bei mir waren das 180 bis 190 km die Woche. Ich trainierte jeden Tag, meist zwei Mal. Das fordert. Zumal ich wochenlang in der Höhe von St. Moritz lief. Da ist es noch schwieriger, die richtige Balance zu finden. Das ist mir und meinem Coach und Partner Michi Rüegg sehr gut gelungen.

Wie sehen die letzten Wochen vor dem Olympia-Marathon aus?
Das eigentliche Marathon-Training lief bis Ende Juli. Dann hat die Wettkampfvorbereitung begonnen. Die Erholung hat nun grösseren Stellenwert erhalten. Der Körper soll die Energie speichern, um dann im gefragten Moment voll leistungsfähig zu sein…

Und…   
Das Wichtigste auch jetzt: gesund bleiben und gesund an der Startlinie stehen.

Du hast es bereits angesprochen. Während Wochen trainiertest du im Engadin.
Genau. Diese Umgebung und die Höhenlage tun mir gut. Darum dislozierte ich bereits im Mai nach St. Moritz. Neun Tage vor der EM in Rom (Halbmarathon/7.). kehrte ich heim. Eine Woche nach der EM ging’s wieder für weitere vier Wochen hoch. Die EM war also in den Aufbau auf Paris integriert.

Du bist Mitte Juli nach Wetzikon ins Zürcher Oberland zurückgekehrt. Was waren die entscheidenden Überlegungen dazu?
Für Paris erwarten wir hohe Temperaturen. Eine adäquate Hitzeakklimatisation drängte sich also auf.

Habt ihr bei der ganzen Vorbereitung auf Bewährtes zurückgegriffen oder auch Neues integriert?
Die Trainingsstruktur ist gleichgeblieben wie immer. Der einzige markante Unterschied: Wir richteten die Trainingsläufe auf das Streckenprofil des Olympia-Marathons mit seinen vielen Höhenmetern (gut 400) aus. Diese Höhenmeter stellen die spezielle Herausforderung dar.

Wie seid ihr diese Herausforderung angegangen?
Wir suchten möglichst ähnliche Strecken und Streckenprofile – also Aufstiege nach ansehnlichen Vorbelastungen und anschliessend Bergabpassagen. Und es ging auch darum, dass ich dann auch noch bereit bin für den flachen Schlussteil.

Kannst du einen Trainingstag im Engadin skizzieren?
Das ist unspektakulär: ein leichtes Morgenessen, wie etwas Haferflocken. 30 bis 60 Minuten danach folgt die Morgeneinheit, vielleicht von 7.30 bis 9 Uhr, Anschliessend das richtige, das zweite Morgenessen. Danach folgt die Siesta. Tagsüber bin ich faul. Ein Mittagsschläfchen gehört meist dazu. Das zweite, meist intensivere Training mit verschiedenen Tempostufen folgt zwischen 16 und 17.30/18 Uhr. Dann Nachtessen, früh ins Bett.

Welche Regeln befolgst du beim Essen?
Ich folge keinen Diäten. Ich achte auf gesundes, ausgewogenes Essen.

Wie kompensierst du den immensen Energieverbrauch?
Nach den Trainings achte ich darauf, verlorene Energie oder Elektrolyte schnell nachzuführen – mit Riegeln und/oder Elektrolyt-Getränken, Shakes führen wir immer mit. Auch bei den Malzeiten greife ich grosszügig zu. In der Höhe ist dieser Aspekt besonders wichtig.  

Durch die hohe Belastung reagiert das Immunsystem anfälliger. Was bewirkt das? 
Ich schränke die sozialen Kontakte ein. Gesundbleiben hat absolute Priorität. Ein Grillfest im Freien ist ein Kompromiss, viele Leute drinnen treffen, liegt nicht drin.  

Was läuft ab in den Tagen vor dem Marathon in Paris?
Ich reise am Donnerstag, dem 8. August, an. Es geht darum, dass ich mich möglichst schnell zurecht finde. Die beiden Tage vor dem Rennen sollen möglichst „langweilig“ sein. Rennen ist nur noch ganz locker angesagt. Jetzt rückt die mentale Vorbereitung ins Zentrum.

Wie kennst du die Strecke?
Ich besichtigte sie vor rund anderthalb Jahren. Das reicht. Ich muss nicht jeden Meter hoch und hinunter gerannt sein; Ich brauche nicht jede Kurve und jeden Schachtdeckel zu kennen.

Du belegtest in Toko Rang 12 und zuletzt an der EM in Rom im Halbmarathon Rang 7. Was wäre ein Topresultat für dich in Paris?
Eine schwierige Frage. Meisterschaftsrennen haben eigene Gesetze, die Bedingungen dürften schwierig sein, die Temperatur, die Strecke ebenso. Für mich ist dieses Rennen etwas Offenes. Ich strebe eine Superleistung meinerseits an: will taktisch clever laufen. Das wird ein Schlüsselelement werden. Rang 12 in Tokio war ein Exploit. Ich hoffe auf einen weiteren.

Welchen Tipp gibst du Breitensportlerinnen und Breitensportlern im Hinblick auf ihren (Herbst-)Marathon?
Da will ich etwas differenzieren: Debütantinnen und Debütanten rate ich: Sie sollen sich Zeit nehmen für die Vorbereitung. Eine Marathon-Vorbereitung in vier Wochen, das wird nix. Eine gute Vorbereitung erhöht die Wahrscheinlichkeit zum Geniessen und zum Spass empfinden deutlich.

Und Ambitionierten, Erfahrenen?
Auch sie sollen sich Gedanken machen: einen Plan aufstellen, gezielte Vorbereitungswettkämpfe einstreuen. Und aus meiner Sicht wichtig: Gleichgesinnte finden: Das motiviert, lässt den Aufbau geniessen. Und für den Marathon selber: Auch mit einem konkreten Zeit-Ziel soll die Freude beim Marathon-Rennen im Zentrum stehen: Geniesst – trotz des Fordernden, Strengen.  

 

Das Gespräch mit Fabienne Schlumpf führte Jörg Greb.

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